Beruflicher Neustart in Schweden
Wie aus Online-Redakteur Frank mit Mitte 30 ein Stadtplaner wurde
Frank Luthardt (36) hatte nach über zehn Jahren Kommunikationsbranche Lust auf neue Herausforderungen. Deshalb hing er seine sichere Festanstellung in der Unternehmenskommunikation an den Nagel und begab sich in Stockholm noch einmal in den Hörsaal. Kein Problem in Schweden? Wie ihm der Wechsel gelang, erzählt er in seinem Gastbeitrag bei “Aus Versehen Schweden”.
Auf Newsletter-Texte hatte ich eigentlich keine Lust mehr. Fast acht Jahre lang war es meine Aufgabe, einen monatlichen deutschen und schwedischen Newsletter mit Inhalt zu füllen, die dazugehörige Unternehmens-Webseite zu betreuen und auf den sozialen Medien mal die Newsletter-Artikel, mal Wirtschafts-News und mal schöne Bilder zu verbreiten. Mit extrem netten Kolleg*innen und völlig okayen Arbeitsbedingungen war diese Stelle in einer Stockholmer Kommunikationsabteilung eigentlich ein richtig guter Job. Die Festanstellung hatte es mir zum Beispiel ermöglicht, dass ich mir eine eigene Wohnung in der schwedischen Hauptstadt kaufen konnte.
Und doch fehlte irgendetwas. Ich war zwar immer recht engagiert bei der Sache, aber mit eher wenig Begeisterung für die Arbeit, trotz immer wieder interessanter Themen und lieber Freund*innen, die ich über sie kennen lernte. Ein Wechsel in die Kommunikationsabteilung eines anderen Unternehmens kam für mich aber auch nicht in Frage. Die Vorstellung, den ganzen Arbeitstag lang mehr oder weniger unnötige Dinge verkaufen oder für die neuesten Strategien des Chefs passende Worte finden zu müssen, löste bei mir keinen Enthusiasmus aus. So beschloss ich Ende 2018: Es ist Zeit für einen Neuanfang! Ich will beruflich etwas ganz anderes machen.
In den Nullerjahren hatte ich in Greifswald Politikwissenschaft und Skandinavistik studiert, später meinen Master in European Studies in Malmö in Südschweden gemacht. Durch die Arbeit beim Studentenradio landete ich zunächst als Reporter beim Schwedischen Rundfunk und dann in der Unternehmenskommunikation. Nun zog es mich aber in einen ganz anderen Bereich, denn ich interessierte mich mehr und mehr für Stadt- und Raumplanung.
Die Entwicklung und Planung von Städten von Infrastruktur hatte mich schon als Kind fasziniert und angesichts der Klimakrise hatte ich das Gefühl, dass ich hier zumindest einen kleinen positiven Beitrag leisten könnte. Das war es nämlich, was mir in meinem Kommunikationsjob gefehlt hatte: die konkrete Arbeit mit gesellschaftlichen Problemen. Ich wollte nicht nur über die Ideen und Initiativen anderer berichten, sondern selbst mithelfen, die Welt zumindest ein klitzekleines Stück nachhaltiger und besser zu machen. Klar ist das eine idealistische, naive und privilegierte Millennial-Sichtweise, aber der Gedanke motivierte mich, den Schritt letztlich auch wirklich zu wagen.
Für meinen Karrierewechsel musste ich erst einmal wieder an die Uni. Bewerben und Zeugnisse einreichen war im digitalen und zentralisierten Schweden kein Problem. Alles lief über die staatliche Webseite für Studienplatzvergabe antagning.se. Aber wie finanziert man sich so ein Studium mit Mitte 30 in einer teuren Großstadt? Hier hatte ich das große Glück, dass mir mein alter Arbeitgeber dabei half.
Während des Studiums konnte ich meinen bisherigen Job nämlich behalten und in Teilzeit weitermachen. Für 75% meiner Arbeitszeit wurde ich, wie es Angestellten in Schweden, die studieren wollen, gesetzlich zusteht, freigestellt (auf Schwedisch war ich tjänstledig för studier) und die übrigen 25% arbeitete ich wie bisher weiter, nur zeitlich angepasst an meinen Stundenplan. So hatte ich ein kleines Grundgehalt, mit dem ich die monatlichen Rechnungen bezahlen konnte, und blieb meinem Arbeitgeber erhalten, um zum Beispiel meine Nachfolgerin einzuarbeiten und eben den Newsletter weiter zu verantworten.
Finanzierung über schwedisches BAFöG und Teilzeitjob
Zusätzlich bezog ich aber auch CSN, das schwedische BAföG. Die staatliche Unterstützung für Studierende (studiestöd) können hierzulande alle erhalten, ganz unabhängig vom Einkommen der Eltern oder dem eigenen Vermögen. Als EU-Bürger*in ohne schwedischen Pass muss man allerdings mindestens zwei Jahre im Land gearbeitet, eine Ehe oder eheähnliche Partnerschaft mit einem Schweden oder einer Schwedin geführt oder insgesamt fünf Jahre ohne Unterbrechung hier gelebt haben. Erfüllt man die Grundbedingungen, kann man mit ein paar hundert Euro Zuschuss pro Monat rechnen und außerdem einen Studienkredit zu sehr günstigen Bedingungen aufnehmen.
Finanziell war ich also vorbereitet, zumal ich mir auch ein bisschen Geld zurückgelegt hatte. Aber als es Ende August 2019 dann endlich losgehen sollte, war ich doch nervös. War das wirklich der richtige Schritt, noch einmal von Null anzufangen? Und würde ich die nächsten drei Jahre der einzige „Opa“ sein, der zusammen mit den Anfang-Zwanzigern in den Vorlesungen sitzt – nur ohne die Energie für lange Partynächte?
Zumindest letztere Befürchtung erwies sich zum Glück als unbegründet. Zwar bestand mein Studienjahrgang natürlich zum Großteil aus Leuten, deren Schulzeit noch nicht allzu lange zurück lag, aber alleine war ich als Mittdreißiger auch nicht. Nach und nach lernte ich eine ganze Reihe von Kommiliton*innen kennen, die alle schon mindestens ein paar Berufsjahre hinter sich hatten und jetzt wie ich einen neuen Weg einschlagen wollten. Einige von ihnen wurden im Laufe der Zeit gute Freunde und regelmäßige Partner bei den an schwedischen Unis und Schulen allgegenwärtigen Gruppenarbeiten.
Auch in meinem persönlichen Umfeld reagierte man überwiegend positiv auf meine Entscheidung, die berufliche Richtung wechseln zu wollen. Zwar waren meine Eltern anfangs nicht sonderlich begeistert, dass ich meine gute und sichere Festanstellung an den Nagel hängen wollte, aber auch sie verstanden die Motivation dahinter. Und in Schweden fanden viele Freund*innen, Bekannte und Kolleg*innen den Schritt zwar irgendwie mutig, aber gut und auch nicht sonderlich ungewöhnlich.
Denn hierzulande trifft man gefühlt ständig auf Leute, die sich mitten im Berufsleben für eine neue Laufbahn und die dafür notwendige Ausbildung entschieden haben. Auch wenn es vielleicht nicht jeder Arbeitgeber immer so sieht, ist die schwedische Einstellung zu dieser Art von Umorientierung und Selbstverwirklichung grundsätzlich positiv. Ein deutliches Zeichen dafür ist beispielsweise, dass man sich die staatliche Unterstützung bis zum Alter von 60 Jahren auszahlen lassen kann. Wer weiß, vielleicht entscheide ich mich in 1-2 Jahrzehnten ja auch noch ein weiteres Mal für ein Comeback an der Uni.
Momentan bin ich aber einfach nur sehr froh, dass ich den Schritt gewagt und mein Studium trotz Pandemie und viel E-Learning letztes Jahr erfolgreich abgeschlossen habe. Das ständige Lesen, Lernen und, trotz freier Zeitgestaltung, Gedanklich-nie-wirklich-frei-Haben fand ich dieses Mal deutlich anstrengender als mit Anfang Zwanzig. Und im neuen Job – als Planer bei einer regionalen Behörde – fühle ich mich zwar immer noch als blutiger Anfänger, darf mich aber jeden Tag mit wichtigen und für viele Menschen relevanten Fragen beschäftigen.
Auch wenn ich Schwedens Städte noch nicht komplett umgeplant und die Welt vor der Klimakatastrophe gerettet habe, gehe ich jetzt mit einer neuen Motivation zur Arbeit. Und Newsletter-Texte kann man ja auch in seiner Freizeit schreiben…
Zum Hören:
Frank ist zusammen mit Vanessa Co-Host des Podcasts Läget.
In den Folgen Nummer 57 und Nummer 74
könnt ihr noch etwas mehr über Franks Alltag als Student, seine Entscheidung und den Übergang in den neuen Beruf erfahren.