Vanessa (36) in Hannover geboren und aufgewachsen, hat in Kiel Skandinavistik, VWL und Psychologie studiert und arbeitet derzeit als Senior Manager für Digital Marketing & Communications bei einer schwedischen Firma. Einst war es ihr Traum, nach Stockholm zu ziehen, jetzt zieht es sie zurück nach Deutschland. Im Gastbeitrag für “Aus Versehen Schweden” hat sie aufgeschrieben, warum.
2013 war es endlich so weit: Ich zog tatsächlich nach Stockholm. Mit einem Bewerbungsgespräch in Aussicht stieg ich mit großem Rucksack und Koffer in den Zug und war mir sicher, dass ich ja, wenn es nichts werden würde, erstmal drei Monate einfach so dort bleiben könnte und schon was finden würde. Ich war voller Vorfreude. Weil ich diese Stadt mit zahlreichen Inseln, Wasser überall, Bademöglichkeiten mitten in der Stadt, gutem Cappuccino an jeder Ecke und Wienerbröd und Kokostoppar in jedem Café liebte. Stockholm i mitt hjärta - Stockholm in meinem Herzen.
Ein Jahr zuvor hatte ich schon für 3 Monate während eines Praktikums mitten in Östermalm in der Innenstadt gewohnt und mich so wohl gefühlt. Und ich wollte wiederkommen. In Kiel war ich mit meinem Studium fertig und dann im März 2013 also zurück in Stockholm. Das Bewerbungsgespräch war erfolgreich und ich hatte den Job in der Tasche: Social Media Management und Übersetzung bei einer schwedischen Firma, die ihre Taschenkalender auch in Deutschland verkaufen wollte.
Aus Versehen Schweden also? Nein, ich war als Kind mit meinen Eltern oft in Schweden im Urlaub gewesen, hatte nach der Schule ein Jahr als Au-pair in Stockholm gearbeitet, Skandinavistik studiert, verbrachte mein Auslandssemester in Växjö und mochte Schweden immer gern. Das Land kam nach meinem Studium als zusätzlicher Arbeitsmarkt infrage und ich wollte endlich wieder für etwas längere Zeit dort leben. Mit dem Bewerbungsgespräch in Aussicht hatte ich nichts zu verlieren und die Entscheidung fiel mir leicht. Ich kannte Stockholm, hatte Freunde in der Stadt und konnte wieder in die WG einziehen, in der ich bereits während meines Praktikums gewohnt hatte. Diese Gelegenheit musste ich also einfach wahrnehmen.
Herausforderung: Schwedischer Freundeskreis
Ich fühlte mich schnell wohl, traf alte und neue Freund:innen. Die Sprache hatte ich bereits während meines Au-pair-Jahres gelernt, im Studium und bei weiteren Aufenthalten im Land verfeinert und konnte relativ schnell fast akzentfrei sprechen, da ich auch täglich mit meinen Kolleg:innen auf Schwedisch kommunizierte. Der Kontakt zu Deutschen und anderen Eingewanderten hat mir aber sehr geholfen, mich wohlzufühlen und einzuleben. In Stockholm gab es immer was zu erleben, die tollsten Konzerte zu besuchen, die Stadt zu erforschen und die Natur der Umgebung zu entdecken. Als Herausforderung hab ich es empfunden, mich immer auf eine Weise fremd zu fühlen und dass einige meiner engen Freund:innen irgendwann wieder zurück nach Deutschland zogen. Damit einher ging mein Wunsch nach einem schwedischen Freundeskreis. Gar nicht so einfach. Was mir geholfen hat? Ein Sportverein, engerer Kontakt zu Kolleginnen, die zu Freundinnen wurden - und Zeit und Geduld. Den schwierigen Wohnungsmarkt, der zu einer Herausforderung hätte werden können, konnte ich umgehen, indem ich lange in meiner WG lebte und dort zuletzt einen kleinen eigenen Bereich der Wohnung mieten konnte. 2017 startete ich mit meinem guten Freund Frank unseren gemeinsamen Podcast Läget? - Der Schweden-Podcast, in dem wir seitdem über unseren Alltag als Deutsche in Schweden erzählen.
Trotz der so guten Voraussetzungen und einem tollen Leben in Stockholm hat es mich aber wieder zurück nach Hannover gezogen, wo ich mittlerweile wieder lebe. Ich arbeite remote von hier aus und nach wie vor für meinen schwedischen Arbeitgeber, bin vor Kurzem mit meinem Freund in eine gemeinsame Wohnung gezogen und sehr zufrieden gerade. Aus Versehen Deutschland also? Ja, schon eher.
Nicht mehr verliebt in Schweden
Weil ich irgendwann nicht mehr verliebt in Schweden war. Ich hatte nicht mehr das Kribbeln im Bauch, als ich im Flugzeug im Landeanflug auf Arlanda saß, und war längst angekommen im Stockholmer Alltag. Was völlig ok war. Gleichzeitig entwickelte sich in mir aber ein Gefühl der Rastlosigkeit, das Gefühl eines Lebens im Dazwischen. Eine Zerrissenheit, die sich nicht gut anfühlte. Als mir beides so langsam bewusst wurde, reifte die Vorstellung in mir, mal wieder für einige Zeit nach Deutschland zu ziehen.
Hannover lag nahe, weil meine Familie dort wohnt und auch Freund:innen noch dort leben. In all den Jahren in Schweden hatte ich nie richtig den Kontakt verloren, weil ich jedes Jahr bestimmt 3-4 Monate in Deutschland verbracht hatte - nicht zuletzt wegen der unschlagbaren Möglichkeit, auch damals schon remote arbeiten zu können.
Irgendwann weihte ich meinen Arbeitgeber ein und der ideale Plan für mich war gefunden: Ich sollte nach Deutschland ziehen, etwa alle 2 Monate für eine Woche im Büro in der Nähe von Uppsala sein und konnte auf diese Weise das beste aus beiden Welten verbinden. Long story short: Nachdem eine (inzwischen beendete) Fernbeziehung zwischen Hannover und Stockholm und Corona diese Pläne zunächst über den Haufen warfen, scheint es nächstes Jahr endlich soweit zu sein.
Projekt Schweden gescheitert?
Ob ich mein Projekt Schweden für mich damit als gescheitert betrachte? Nein, alles war und ist gut so, wie es ist. Die Zeit in Schweden hat mich unheimlich bereichert. Ich hab an Selbstvertrauen gewonnen, weil ich in einem anderen Land gelebt und mich zurechtgefunden habe und durch meinen Job bleibt mir weiterhin eine enge Verbindung zum Land. Ich bin gespannt und schaue weiter, was mein Leben so für mich bereithält. In unserem Podcast “Läget” und auf Instagram halte ich dich gerne darüber auf dem Laufenden, wenn du mal vorbeischauen magst.
News aus Schweden
Auch bei uns in Schweden steigen sowohl die Infektions- als auch die Hospitalisierungszahlen, sie sind jedoch nach Angaben der Gesundheitsbehörde “Folkhälsomyndigheten” noch deutlich niedriger als im Frühling.
Erstmals wird auch in ganz Schweden im Öffentlichen Nahverkehr Mund-Nasenschutz empfohlen, jedoch nur, wenn Gedränge nicht zu vermeiden sei. In den Göteborger Straßenbahnen wird das, wie zu vermuten, sehr frei interpretiert und kaum mehr Menschen halten sich hier an diese Empfehlung als vor ihrem Beschluss am 8. Dezember.
Außerdem gilt weiterhin: Bei Symptomen zuhause bleiben und vermehrt Home-Office. Was für mich ohnehin die meiste Zeit gilt, gilt auch wieder für viele Kolleg_innen im Büro.
Neues von mir
Auch dieses Jahr feiere ich wieder in Schweden Weihnachten und auch euch in den deutschsprachigen Ländern steht wahrscheinlich wieder ein etwas anderes Fest bevor, wenn ihr feiert. Für das finnisch-deutsche Lifestyle-Magazin “Happiness meets life" habe ich in einer Gemeinschaftsausgabe eine Reportage über Weihnachten in Schweden in der Pandemie aufgeschrieben. (Auf Deutsch und kostenlos)
Für “Göteborgs-Posten” habe ich anhand Case-Studies aus Halle und dem Fall Gil Ofarim über die Dimension des Antisemitismus in Deutschland geschrieben. (Auf Schwedisch und hinter Paywall)
Die erfolgreichste Episode von Vanessa und Franks Podcast “Läget” im Jahr 2021 war die, in der ich Gästin war. Hört gern rein, wenn ihr sie noch nicht kennt. Inzwischen ist zum Glück vieles anders als im Februar, aber ich empfehle sie zum Beispiel immer gern, wenn jemand fragt, wie man schnell Schwedisch lernen kann. (Auf Deutsch und kostenlos).
Auf Instagram läuft weiterhin mein Adventskalender mit Writing-Prompts (Auf Englisch und kostenlos).
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