"Beratungsregel" ist in Schweden freiwillig
Zu welchen Konditionen Frauen in Schweden über ihre Schwangerschaft bestimmen können
Obwohl ich mich in der Sprache Deutsch nach wie vor auch noch zuhause fühle, bin ich zu selten in Deutschland, um den komplett deutschen Blick auf alles zu behalten. Das sehe ich jedoch nicht nur als negativ an. Seit ich in Schweden lebe, lerne ich ziemlich viel über Deutschland.
Die Debatte um den Paragrafen 219a, der die Information über Schwangerschaftsabbrüche bis Ende Juni verbot, habe ich natürlich noch von Deutschland aus verfolgt. Jedoch auch darüber hinaus die Tatsache, dass es damit nicht getan ist. Seit 2003 ist die Zahl der Praxen in Deutschland, die melden, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, um 46 Prozent gesunken. Und es ändert nichts an dem Paragrafen 218, der Schwangerschaftsabbrüche zwar bei Einhalten der Konsultationsregeln nicht unter Strafe stellt, sie bleiben jedoch trotzdem nicht legal.
Wie diese Lage für Ärzt*innen und Frauen, die ungewollt schwanger sind, in der Praxis ist, habe ich für die Göteborgs-Posten anhand einer Reportage recherchiert. Die Reaktionen waren überrascht und erschrocken: So etwas hat man von Deutschland nicht erwartet! Gar von Europa sagten manche.
Im Rahmen meines Artikels habe ich mich natürlich auch damit beschäftigt, wie die Regulierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Vergleich dazu in Schweden aussieht. In Schweden haben ungewollt Schwangere 18 statt 14 Wochen nach dem ersten Tag der letzten Periode Zeit, den Abbruch legal durchzuführen, also einen kompletten Monat mehr Zeit. Es gibt im Gegensatz zu Deutschland keine Pflichtregelung, sondern eine freiwillige Konsultation als Unterstützung, wenn gewünscht. Dabei darf die schwangere Person nur informiert, nicht aber in ihrer Entscheidung beeinflusst werden. Laut der Regierungsseite regeringen.se ist Schweden das einzige Land Europas, das Abtreibung bis zur 18. Schwangerschaftswoche kostenfrei anbietet. Kostenfrei heißt: Die Abtreibung kostet soviel wie ein gewöhnlicher Arztbesuch, also etwa 10 Euro, und zwar für jede ungewollt schwangere Person.
Ein großer Unterschied zu der niedrigen Einkommensgrenze von 1258 Euro netto in Deutschland, ab der die Abtreibung einen dreistelligen Betrag kostet. Zudem werden in Schweden 96 Prozent der Schwangerschaftsabbrüche medikamentös durchgeführt, in Deutschland sind es nur 29 Prozent. Medikamentatöse Schwangerschaftsabbrüchen bieten die Möglichkeit, die Schwangerschaft zuhause und sehr früh, schon vor der siebten Schwangerschaftswoche, abbrechen zu können. So früh beendet die Mehrheit, 61 Prozent der ungewollt Schwangeren in Schweden, eine Schwangerschaft frühzeitig.
Eine Abtreibung nach der 18. Woche ist auch möglich, wenn es dafür “besondere Gründe” gibt. Unter den gewöhnlichsten sind Schädigungen des Fötus, eine so späte Abtreibung kann aber auch aus so genannten sozialen Gründen bewilligt werden, zum Beispiel wenn die ungewollt schwangere Person in sehr schweren Verhältnissen wohnt, sehr jung ist, oder Alkohol und Drogen missbraucht. Nach der 22. Woche ist wie in Deutschland keine Abtreibung mehr möglich, das schwedische Gesetzt hat dafür die Formulierung: Wenn angenommen werden kann, dass der Fötus alleine lebenstauglich ist, kann keine Abtreibung mehr durchgeführt werden.
Besonders alt ist das Recht auf Schwangerschaftsabbruch in Schweden jedoch noch nicht: Bevor es 1974 von der Regierung entschieden wurde, reisten Schwed_innen, die einen Schwangerschaftsabbuch vornehmen wollten, vor allem in den sechziger Jahren nach Polen, wo Abtreibungen im Gegensatz zu Schweden damals erlaubt waren. Heute kaum vorstellbar, wo die Lage sich im katholischen Polen deutlich verändert hat.
Was ich gerade mache
Vor ziemlich genau einem Jahr habe ich zum ersten Mal auf Schwedisch geschrieben. Jetzt recherchiere ich noch einmal zum selben Thema, und schreibe es für ein deutsches Publikum. Das fällt mir nicht immer leicht. Ironisch, denn in diesem Newsletter hier mache ich ja nichts anderes, als schwedische Dinge für ein deutsches Publikum zu erklären.
Reisen, Reisen, Reisen - Urlaub habe ich erst im August, aber für ein paar Texte ging es in die nähere Umgebung. Wenn sie veröffentlich sind, sag ich natürlich Bescheid und melde mich in zwei Wochen noch einmal mit einer kleinen Liste, was ihr in Schweden oder zuhause diesen Sommer noch machen solltet.
Was ihr Schwedisches anschauen könnt
Nicht enttäuscht hat mich die zweite Staffel “Liebe und Anarchie” (schwed: “Kärlek och Anarki”). Während ich die erste Staffel vor allem wegen ihrer kompletten Schwedischkeit und des Humors sehr mochte, ist die zweite ziemlich emotional und klug. Es geht um verschiedenste Arten von Liebe, Antikapitalismus und Loyalität - und am besten hat mir gefallen, dass der Ort, an dem die Serie klug Marktmechanismen seziert, keine Fabrik ist, sondern ein Verlag. Anhand des Kulturbetriebs und der Entwicklung der Hauptfigur Sophie (wirklich großartig: Ida Engvoll) zeigt die Serie auf, wie wirklich jede_r von uns auf Vermarktungslogik bei sich selbst und anderen hereinfällt, so über den Dingen stehend man sich selbst auch wahrnimmt. Eine gute Portion “Cultural Content!”