Seit ein paar Jahren liebe ich es, zu planen. Ich fülle Bullet-Journals, Notizbücher, Monatsansichten, Jahreskalender… Und seit zwei Jahren habe ich auch noch eine gute Ausrede dafür: Selbstständigkeit bedarf viel Planung. Und doch macht einem irgend etwas regelmäßig einen Strich durch die Rechnung. Diesen Text hatte ich geplant, ganz entspannt bei einer Tasse Tee zu Beginn eines gewöhnlichen Arbeitstages zu schreiben, dann bekam ich Corona. Ich schreibe ihn am Ende einer Krankheitswoche, die ich mir vermeintlich nicht leisten kann. Mit viel Ruhe ging sie jedoch trotzdem ohne großen Schaden um. Nun kann ich also doch noch meine sieben größten Learnings aus zwei Jahren Selbstständigkeit teilen. Absichtlich Learnings und keine Tipps, weil ich ebenfalls gelernt habe, dass die richtige Umsetzung ohnehin jeweils individuell ist.
1. Lagom viel zu tun haben
Zu viel zu tun zu haben macht mich genauso unproduktiv wie zu wenig zu tun zu haben. In meine Selbstständigkeit startete ich, als ich nebenbei noch offiziell Vollzeit im staatlichen Schwedisch-Kurs SVA (Svenska som andra språk) lernte. Das war manchmal ganz schön anstrengend, und ich war ziemlich froh, gut ein halbes Jahr später endlich das letzte Zertifikat in der Hand zu halten. Trotzdem bin ich im Nachhinein dankbar, diese zweite Aufgabe gehabt zu haben, sonst hätte ich mir wohlmöglich zu viele Sorgen über den Start gemacht. Zum damaligen Zeitpunkt waren meine ersten Kunden jedoch genau lagom viele, um sie neben Hausaufgaben, Prüfungen und in der Corona-Isolation bewältigen zu können. Als ich im Mai 2021 dann endlich nur noch selbstständig war, musste ich für mich letztendlich noch einmal ganz genau definieren, was mein Fokus (journalistische Texte) und meine Themen (Schweden, Feminismus, metropolitane Kultur) waren, um meine Arbeit wieder in die richtige Richtung zu lenken. Etwas, was ich erst im Laufe der Zeit und dank des Inputs von zum Beispiel der Journalistin Anna Codrea -Rado und ihrem Buch “You’re the Business” lernte: Pitchen und sich neue Auftragsgeber suchen tut man am besten dann, wenn man gerade über die Ohren voll mit Arbeit ist, nicht erst, wenn Flaute herrscht. Nur, wenn Akquise ein regelmäßiger Vorgang ist, bleibt auch der Auftragsfluss lagom. Und selbst, wenn er doch einmal einbrechen sollte, hilft es, sich immer in Bewegung zu halten: Webseite-Copy, Buchhaltung, Passion Projects, Weiterbildungen… Es gibt immer etwas zu tun.
2. Rechungen nicht sammeln
Am Anfang meiner Selbstständigkeit habe ich einmal im Monat Rechnungen gestellt. Das mache ich jetzt nicht mehr, sondern sobald ich es kann. Einige Auftraggeber wollen das nach Veröffentlichung, andere nach der ersten Korrekturschleife. Es hilft mir in meinem Alltag, mich immer wieder daran zu erinnern, dass Geld wieder herein kommen wird. Und deshalb hilft es, in einer geschäftigen Woche auch etwas für den Geldbeutel tun zu können.
3. Es muss nicht zwangsläufig “all in” sein
Ich habe seit August 2021 einen Nebenjob von 12 Stunden die Woche bei einer schwedischen Outdoor-Marke als Copywriterin und Übersetzerin. Das sind Dienstleistungen, die ich neben der Journalistik ohnehin anbiete. Das feste Einkommen, dass ich daraus jeden Monat erhalte, ermöglicht es mir, entspannter an meinem Fokus, dem journalistischen und literarischen Schreiben, zu arbeiten. Außerdem gibt er mir eine Anbindung an Göteborg, die ich persönlich gut finde. Ich arbeite gerne unabhängig, habe vielfältige Aufgaben und bin mit Herzblut Journalistin. Ein anderer Beruf kommt für mich nicht in Frage. Aus Prinzip auf eine Anstellung zu verzichten, die mir ermöglicht, bei Urlaub und Krankheit wenigstens ein bisschen Einkommen zu generieren und mir darüber hinaus im Notfall über Auftragsflauten hilft, kann ich mir inzwischen nicht mehr vorstellen. Die meisten freien Journalist*innen verdienen zusätzlich Geld mit SEO- und Copywriting. Außerdem kann ich so, wie die meisten Schwed*innen, am Zahltag, dem 25. jeden Monats, teilhaben. Einnahmen von meiner Selbstständigkeit überweise ich mir am selben Tag und zack- habe auch ich ein regelmäßiges Einkommen, mit dem ich rechnen kann.
4. Co-Working macht produktiver
Meine zweite Anbindung an Göteborg ist mein Co-Working-Space. Ich habe im ersten Jahr gedacht, wie schön es ist, was für ein Privileg von zuhause aus arbeiten zu können. Ist es auch. Aber es macht auch einsam und lässt manchmal Probleme größer erscheinen, als sie eigentlich sind. Ich bin froh, in einen meist gesunden Arbeitsrhythmus, der sich an schwedischen Bürozeiten orientiert, gefunden zu haben: 8 bis 17 Uhr, eine Stunde Mittagspause. Für manche Geschichten sitze ich gern mit Duftkerze zuhause vorm Schreibtisch, aber das meiste, inklusive Geschäftsabschlüssen und Interviews, bekomme ich in meiner alten Fabrikhalle mit den Bildern in schönen Pastellfarben an der Wand zustande.
5. Nie wieder ohne Passion Projects
Nie wieder werde ich dem Trugschluss aufsitzen, wenn man einen kreativen Beruf hätte, könne man nie wieder unbezahlt kreativ sein. Ich muss. Denn letztendlich ist vieles von dem, was ich tue, Arbeit. Zwar habe ich das Glück, etwas zu tun, was ich schon immer tun wollte, und vieles macht mir auch Spaß, aber bei weitem nicht alles. Es ist Arbeit. Auch dieser Newsletter ist Arbeit, doch er erfüllt mich als To-Do bei jeder Wochenplanung mit Freude. Er verschaffte mir bereits Aufträge. Er brachte mich mit Menschen ins Gespräch und in Verbindung. Er schult mich immer wieder aufs Neue dabei, meinen Stil zu finden und an größeren Träumen und Visionen in meiner Arbeit und im Leben dran zu bleiben. Und darüber hinaus ist es auch mal in Ordnung, ein paar schlecht bezahlte Aufträge anzunehmen, wenn man wirklich Lust darauf hat. Die Energie, die man aus ihnen zieht, hilft dabei, besser bezahlte Aufträge zu finden und nicht den Kopf in den Sand zu stecken.
6. Ich bin freie Journalistin und Autorin, nicht nur Neu-Schwedin
Und das ist ein komplett neues Learning: Wie andere mich sehen definiert nicht, wie ich mich selbst sehe. Es fällt manchmal schwer, es nicht an mich heran zu lassen, wenn ich fast jeden Tag bei alltäglichen Handlungen erklären muss, was ich tue. Nein, ich studiere bereits seit 2015 nicht mehr, nein, ich arbeite nicht Vollzeit bei einem Arbeitgeber, ich habe mehrere Auftragsgeber und bin eine eigene Firma. Nein, es ist nicht nur eine Notlösung, dass ich Freelancerin bin, ich plane weiterhin so zu arbeiten. Viele Menschen erwarten von einer, die neu in ein Land kommt, sich einen herkömmlichen Job zu suchen. Ich gehe einen anderen Weg, mein Job ist freie Journalistin, Autorin und Copywriterin, und es kann mir egal sein, ob dieses Modell in Schweden nicht als normale Karriere gilt. Ich bin auch nicht aus dem Ausland selbstständig, ich bin an meinem Wohnort Göteborg in Schweden selbstständig. Das ist einerseits mein größter Selling-Point - ich kann vor Ort recherchieren und bringe andere Themenvorschläge als Leute in Wien, München und Berlin. Gleichzeitig kann ich nicht regelmäßig im DACH-Raum auf Netzwerkveranstaltungen gehen, wenn ich denn überhaupt von ihnen erfahre. Mir bleibt erst einmal nur der virtuelle Kontakt mit Neukund*innen - was auch ein Vorteil sein kann.
7. Der Mix macht’s
Ich beschäftige mich mit vielen ernsten Themen. Wenn ich das 40 Stunden die Woche tun würde, wäre ich sicher nach ein paar Jahren ausgebrannt. Ich finde es deshalb gut, dass ich auch zu Reisen, spannenden Initiativen und völlig unpolitischen Übersetzungen arbeiten darf. Meine Woche besteht zu etwa 30 Prozent aus tiefer, inhaltlicher Recherche-Arbeit, 20 Prozent Schreiben, 20 Prozent Administration und 30 Prozent Copywriting. Und ich möchte momentan auf keines davon verzichten.
Zu den besten Momenten der vergangenen beiden Jahre gehörten mein erster Artikel auf Schwedisch, mein erster Beitrag im Deutschlandfunk und die erste Konferenz in Deutschland seit ich ausgewandert bin, auf der ich nicht nur viel lernte, sondern auch viele neue Gesichter traf. Bevor stehen mir in den nächsten Monaten eine spannende Recherchereise, interessante Interviews und zwei Geschichten, die mich schon recht lang beschäftigen. Und meiner Erfahrung nach kommen im Drei-Wochen-Rhythmus immer noch unerwartete Dinge hinzu.
So schön auch mal die Sicht von anderen Selbstständigen und deren Arbeit im Ausland zu lesen. Das beruhigt manchmal ein bisschen:-)