Gerade habe ich mein Notizbuch zugeklappt und beschlossen, dieses Jahr keinen neuen Text mehr anzufangen außer diesen. Und während ich ihn schreibe, denke ich noch, dass das hier gar nicht der Text ist, den ich jetzt schreiben darf. Am 13. Dezember war ich genau drei Jahre in Schweden, doch auch dieser Tag ist für mich Content-los verstrichen. Das sind alles Gefühle und sogar Worte, die für mich jetzt nach 2022 gehören. 2022 war ein Jahr voller Beschäftigt sein, und das war zu diesem Zeitpunkt genau richtig. Ich brauchte es, damit meine Selbstständigkeit mehr an Fahrt gewann, richtig in Göteborg anzukommen, Freund:innen wiederzusehen und meine Kreativität wie ein Kind an einer Schaukel einmal richtig anzuschubsen, damit die Worte wie in einem Kettenkarusell durch die Gegend fließen.
Schöne Momente in ganz Europa
Einmal dachte ich, dass 2023 gar nicht mal so gut wird, weil 2022 ein schwieriges Ende nahm. Ein Sturz, bei dem ich mir das Sprunggelenk brach, kaum konnte ich wieder laufen, bekam ich zum ersten Mal Corona, dadurch blieb viel Arbeit, liegen, die ich teilweise sogar bis nach 2023 nehme. Dann sah ich mir Bilder an: Ich habe an der norwegischen Grenze mit Bianca und Friedrich einen guten Horrorfilm gesehen und im größten Eisregen eine Schäreninsel besucht. Meinen ersten Radiobeitrag für den Deutschlandfunk gemacht und bin dabei live hypnotisiert wurden. Habe im März in Flensburg im Garten einer Freundin gesessen und ihrem Kind eine selbst erfundene Geschichte erzählt. Danach war ich auf einer für meine Arbeit als Journalistin sehr wichtigen Weiterbildung. Mit meinem besten Freund in Göteborg habe ich auf dem Kirschblütenfest in Slottskogen den Frühling begrüßt, mit meinem Partner in Dalsland Midsommar gefeiert. Den Juli verbrachte ich zwischen Meer, Büro und Schreibtisch, den August in Italien, Slowenien, Wien, Prag und Deutschland. Als ich nach dem Sturz zwei Monate lang nicht laufen konnte, hat sich im September mein Freund um mich gekümmert und meine liebsten Freund:innen kamen an meinem Geburtstag vorbei. Im Oktober besuchte ich das Aquarellmuseum auf Tjörn.
Multilingual publiziert
Publiziert habe ich auf Deutsch, Schwedisch und Englisch und zum ersten Mal auch in Österreich. Meine Ziele: Mehr zu verdienen, mehr auf Deutsch Artikel zu veröffentlichen, erreicht. 21 Newsletter-Artikel habe ich 2022 veröffentlicht, 2023 sollen es 24 sein. Einen Büroplatz und somit eine bessere Trennung zwischen Arbeit und Privatleben habe ich mir auch besorgt. Als Bonus dazu kamen hilfsbereite, witzige Kolleginnen zum Mittag essen. Dazwischen habe ich aber auch sehr viel gezweifelt, schlecht bezahlt gearbeitet, nächtelang wach gelegen, und mir Sorgen gemacht.
2023 soll nicht so ein Jahr werden. 2023 möchte ich mir selbst und anderen gegenüber deutlicher zeigen, dass ich meinen Wert kenne – und auch allgemein noch ein bisschen weniger an die Arbeit und mehr an meine Gesundheit denken. Ich habe private Ziele. Da ist ein großes, kreatives Projekt, dass ich 2023 in Angriff nehmen möchte. Da ist eventuell eine Lebensveränderung. Da ist ein großer Wunsch, der Fremdwahrnehmung den Stinkefinger zu zeigen. Aber da sind auch gut bezahlte Projekte in der Pipeline, Pitches im Kopf. Zwischen den Jahren muss allerdings eine Pause liegen.
Denn die größte Herausforderung 2022 war für mich immer noch: Das zuhause sein zwischen beiden Sprachen und nirgendwo an Orten. Ich lebe wahnsinnig gern in Göteborg, es ist alles nah genug, um nicht zu nerven und trotzdem ist die Stadt groß genug, um sich nicht eingeengt zu fühlen. Darüber habe ich vergangenes Jahr auch schon geschrieben.
Aber ich finde es herausfordernd, damit umzugehen, ständig mein ganzes Sein zu rechtfertigen – als Migrantin, Selbstständige, Autorin – weniger als Frau als in Deutschland, das muss man Schweden schon lassen.
Doch da sind meine Freundschaften in Deutschland, Portugal, Spanien, Niederlanden, Österreich und USA. Da ist mein Ich, dass sich in Handlungen zuhause fühlt: Die Weihnachtspyramide anschieben, Kaffee kochen, schreiben, Theater spielen, am Sonntagstisch mit meinem Partner drüber reden, was wir vergangene Woche gelesen anstatt was wir geschrieben haben. In die breite Masse trage ich die Identität Deutsche in Schweden. Doch wer mir nah steht, weiß, dass das nie irgendwo zuhause sein genau das ist, was mich ausmacht.
Auswahl an Texten zum Nachlesen:
Text, der mir 2022 am meisten bedeutet hat:
Kvinnor i Bayern gör abort via videosamtal, über die gesetzliche Lage von Abtreibungen in Deutschland, weil ich ziemlich lang dafür recherchiert, selbst viel Neues gelernt, viele Rückmeldungen von Menschen aus Schweden erhalten, dass sie darüber auch sehr viele neue Informationen erhalten hätten und der Zeitpunkt der Veröffentlichung dann sehr günstig lag.
Texte zu größeren Nachrichtenereignissen:
Größtes Nachrichtenereignis in Schweden 2022: Regierungswechsel und der Aufstieg von rechts-außen, und ich habe darüber für das Neue Deutschland in Deutschland und Die Furche in Österreich berichtet und analysiert.
Text, der von euch 2022 hier am meisten gelesen wurde:
Nachtrag dazu: Ich finde die Konsens-Kultur in Schweden durchaus ziemlich anstrengend, vor allem, wenn es um reale Probleme geht oder im Privaten. Beruflich bleibe ich aber dabei: Ein respektvoller Umgang, konstruktive Formulierungen und eine Beschränkung auf das Wesentliche machen das Leben sehr viel angenehmer.
Text, dessen Recherche am meisten Spaß gemacht hat: Reise ins Ronja Räubertochter-Gebiet für Good Travel.
Zum Hören:
Bianca Jankovska und ich haben zum #tradwifes recherchiert, analysiert und gepodcastet. Das Ergebnis könnt ihr in ihrem Podcast “The Bleeding Overachiever” hören.
Song des Jahres 2022