Ich habe den ersten Sonnenbrand des Jahres, obwohl ich mich eingeschmiert habe. Es ist mein dritter Frühling in Göteborg und ich muss mich daran erinnern: Dass die Sonne nach sechs Monaten Nebel, dichten Wolken und viel Regen Mitte April wirklich zurück kommt, und wie verdammt intensiv sie ist.
Ich bin sehr müde von einer intensiven Arbeitswoche und scrolle mich durch meinen Feed. Dabei entdecke ich ein Reel der kanadischen Content-Creatorin Madeline Rae , die in Malmö, also sogar noch südlicher als ich lebt und von dem Druck berichtet, den eine in Schweden hat, wenn die Sonne scheint. Es klingt wie das absolute Luxusproblem, aber während deutsche Kolleg*innen mir reihenweise etwa viermal im Jahr schreiben, dass sie sich gerade im Urlaub befinden, konzentriert sich in Skandinavien die Freizeit mit anderen Menschen als der Kernfamilie auf April bis Juli.
Plötzlich öffnen sich die Leute und wollen stundenlang mit dir in der Sonne sitzen und europäische Weine trinken. Du selbst hast solche Angst, dass die Sonne gleich wieder verschwindet, dass dir jede Minute drinnen auf der Couch wie die absolute Verschwendung vor kommt. Und nebenbei sollst du trotzdem im Blitztempo deine Arbeit verrichten, weil der Mai mit seinen Feiertagen schneller kommt als gedacht. Und dann haben wir in Schweden noch Nationaltag und Mittsommer im Juni!
Die Angst, den Sommer zu verpassen
Ist diese „Sonnen-Fomo“ schon für Eingeborene ein Ding, über das man in der Mittagspause gern einmal spricht, kommt für Expats noch hinzu, dass auch Freund*innen und Familie ihre Besuche genau in diese Zeit legen. Und ein Umzug wäre da auch noch diese Woche… Am bisher wärmsten Tag des Jahres liege ich einfach nur auf dem Balkon, schaffe es gerade noch zum Supermarkt, um mir einen Salat zu kaufen, und scheue jegliche Kommunikation.
Am Vortag war ein After-Work, das um 16 Uhr begann und anstatt wie geplant 17.30 Uhr zu öffnen, bis tief in die Nacht ausartete. Beschwere ich mich nicht wie andere Expats sonst, dass alles ein wenig zu artig und gesittet abläuft? Einmal komme ich Freitags erst nach 22 Uhr nach Hause und fühle mich wie nach drei Tagen Berghain. Die Erschöpfung kommt von der plötzlichen Kommunikation in Mengen nach der langen Winterstille und Dunkelheit. So gar nicht “lagom” (=nicht zu viel und nicht zu wenig).
Als nur einen Tag später tatsächlich der Regen wieder zu laufen beginnt, fällt mir der perfekte Ort ein, um die Traurigkeit, darüber, dass die Sonnenwoche schon wieder vorbei ist, zu vertreiben: Ich gehe mit einer Freundin erst stillschweigend im Hallenbad schwimmen, und dann in die Sauna. Es ist warm hier, und trotzdem still. Ein paar Mal lästern wir darüber, was für dumme Fragen uns Menschen in den vergangenen Wochen gestellt haben. Wie erschöpfend es sein kann, wenn Menschen es nur gut meinen und erklären und erklären, was eine selbst jeden Tag erlebt. Ein Reminder: Wenn Sie Menschen begegnen, die einen Akzent haben, oder Ihnen auf Grund anderer äußerer Merkmale auffallen, fragen Sie mal nicht nach der Herkunft. Reden Sie lieber über das Wetter, da kann man (fast) nichts falsch machen.
Woanders weiter lesen:
Die Journalistin und Buchautorin Isabell Prophet schreibt in ihrem Newsletter „Feierabend“ über verschiedene Strategien, sich durch Fokus und Struktur einen Feierabend zu verschaffen und so nicht die Kontrolle über unsere Arbeit zu verlieren. Ich habe mich sehr über dieses Thema gefreut, denn ich fühle mich im deutschsprachigen Medien-Umfeld oft allein und etwas spießig damit, abends und am Wochenende möglichst nicht zu arbeiten und trotzdem journalistisch und kreativ unterwegs zu sein.
Die Arbeitslosigkeit in Schweden lag in den vergangenen Jahren bei 6 – 9 Prozent und Frauen sind davon stärker betroffen als Männer. Das Start-Up Projekt Koldbath versucht, neben seiner kommerziellen Tätigkeit in Workshops die Fähigkeiten von Frauen zu entdecken, die sie nicht unbedingt in den Lebenslauf schreiben würden. Die ganze Geschichte könnt ihr bei „Deine Korrespondentin“ lesen, ein Online-Magazin, dass Frauen auf der ganzen Welt mehr Sichtbarkeit verleiht.
Neben Interviews, Features und Reportagen zu gesellschaftlichen und politischen Themen schreibe ich seit vergangenem Jahr auch über Reisen. Während ich mich nie wirklich zur Travel-Community gezählt habe, ist es mir ein Vergnügen, Orte, Menschen, Speisen und Eigenarten vorzustellen, die noch nicht deinen Instagramfeed fluten. Zuletzt war in der Apotheken-Umschau dieser Artikel über die Orangenernte in Alentejo von mir zu lesen.