Hotelduschgel und Festivalgepäck
Warum ich mich beim allein Reisen in den 30ern nicht schämen möchte
Während ich diesen Newsletter schreibe, sitze ich in meinem eigenen Schlafzimmer in Göteborg, und das ist tatsächlich selten gewesen in den vergangenen fünf Monaten. Nachdem ich die beiden Jahre zuvor fast ausschließlich in den eigenen vier Wänden verbracht habe, bin ich seit Ende März wieder im Reisemodus. Zunächst hatte ich vorsichtig die Zehen ins Wasser gesteckt, und eine Weiterbildung in Berlin mit dem Zug besucht, mit Zwischenstopp bei meiner ehemaligen Mitbewohnerin in Flensburg und Blitzbesuch bei Partnerin in crime, Bianca. Einmal gemerkt, dass es doch irgendwie wieder geht, trotz der Tatsache, dass die Pandemie nicht vorbei ist, zu reisen, verbrachte ich Ostern in Oslo, und spontan zwei Tage Mitte Mai in Kopenhagen. Dann reiste ich beruflich in ein Naturreservat, um auf Ronjas Spuren zu wandeln. Als ich sah, wie halb Deutschland Ostern in Familie verbrachte, platzte bei mir irgendwie ein Knoten und ich widmete mich reisend wieder dem, was mir nun einmal wichtig ist: Journalistische Arbeit, Schreiben und Freundschaft.
Aufregend, mit schlechtem Gewissen
Ich muss zugeben: Es hat ganz schön gut getan. In Zügen und Hotelzimmern fühle ich mich wohl, ich mag das Kribbeln vor der Abreise, es macht mir nichts aus, mit einer schweren Tasche auf der Schulter einen Ort zu besuchen, an dem ich noch nie war, neue Menschen kennen zu lernen, Eindrücke zu gewinnen, die Perspektive zu wechseln, sogar das Duschen mit Hotelduschgel, das ich nie kaufen würde, finde ich aufregend.
Und bereits während ich diese Worte schreibe, fühle ich mich ein bisschen schuldig. Ich habe eigentlich nicht das Budget für ein Jet-Set-Leben, nie gehabt und doch habe ich es mir immer ermöglicht. Sollte ich das wenige Geld, das am Ende des Monats übrig ist, nicht lieber für schlichte Büro-Couture in beige ausgeben, die Altersvorsorge, Bio-Essen und Brunches? Wie sieht das denn aus, obwohl man in einer Beziehung ist, sobald es wieder möglich ist, die Tasche zu packen und in ein Hotel in die nächstbeste Großstadt zu fahren?
Für reisende Frauen in den 30ern ist wenig Platz im Patriarchat.
In den 20ern, ja, da geht das noch. Vor etwa einer Dekade kursierte ein Blogbeitrag mit dem Titel „Why you have to travel while you’re young“ mit der Unterzeile „Big memories, small paychecks“. Darin beschreibt die Autorin, dass es nie wieder so schön sei, diese Erfahrung des Reisens ohne Geld zu machen. Diesen Artikel habe ich schon immer gehasst. Zum einen suggeriert er, man müsste bis zur magischen 30 einfach alles schon geschafft haben und sich danach nur noch Reihenhaus, Kindern und Karriere widmen. Diese Sicht ist nicht nur kapitalistische Verwertungslogik, sondern transportiert auch ein zutiefst konservatives Weltbild im hippen Lifestyle-Mantel. Was ist außerdem mit Menschen, die in den 20ern so viel arbeiten mussten, dass jeder Cent in Miete und Lebensmittel floss? Ein bisschen Cash braucht man zum Reisen schon. Ich hatte in meinen 20ern sehr wenig Geld, aber ein gewisses Privileg war es schon, es fürs Reisen ausgeben zu können.
Als ich ein Kind war, bin ich mit meiner Familie schon immer auch in den Urlaub gefahren. Keine extravaganten Auslandsreisen standen auf dem Plan, aber einmal im Jahr Ostsee, Nordsee oder irgendein Gebirge in Deutschland und ab und zu Österreich waren schon drin. Die Person, die darüber hinaus auch sehr viel herum kam, war mein Vater. Er arbeitet seit 1999 in einer Firma mit Fabriken weltweit, und unternahm bis zur Pandemie regelmäßig Geschäftsreisen. Meine Mutter packte die Tasche und bügelte seine Hemden. Rümpfte darüber jemand die Nase? Nein, es war halt wegen des Jobs.
Vielleicht fühle ich mich deshalb etwas weniger schuldig, in meinen 30ern allein zu verreisen, wenn ich das Ganze noch mit einem Business-Anlass verknüpfe. Sonst würde es mir vielleicht ergehen wie meiner Freundin Bianca von Groschenphilosophin. Als sie im April auf ihrem Instagram-Account darüber schrieb, dass sie mit einer Freundin im Schlepptau eher in der Minderheit und sonst von reisenden Hetero-Pärchen umgeben war, glitten genau diese in die Kommentarspalten und gaben Gründe an, warum man unbedingt mit dem Partner verreisen MÜSSTE und warum es arrogant sei, zu erwarten, dass andere genauso reisen, wie man selbst. Dabei bekamen in diesem Post doch nur wir nicht ganz so reichen und trotzdem unabhängigen Frauen in den 30ern ein bisschen mehr Sichtbarkeit. Für unseren Lebensstil aus Freund_innen treffen, Kreativarbeit und Leben genießen statt 24/7 Business oder Kinder-Content. Und es will doch auch keiner Familien oder Pärchenurlaube verbieten.
Warum darf es nicht einfach eine Frage der Prioritäten (voraus gesetzt, man verfügt über die nötigen Privilegien) sein, gern zu reisen und seine Beziehungen zu pflegen? Hand aufs Herz, wollt ihr lieber Jochen in den Flieger steigen sehen? Oder den klassisch hedonistischen Reisecontent mit schicken Fotos und banalen Captions? Oder dürfen Frauen sich wirklich nur bei der Arbeit als Girlboss, vorm Laptop im 8 qm Büro eingeschlossen, dem Kochen oder mit ihren Kindern zeigen?
Darf man als Frau nur von Heim und Herd weg, wenn es für die Arbeit oder mit dem Partner ist?
Übrigens: Tatsächlich stößt mir diese ganze Reise, Leben, priviligiert-Kiste auch noch aus einem anderen Grund auf. Ich habe oft den Eindruck, dass Menschen, die ständig betonen, man habe ja nicht so viel Zeit, wenn man Kinder hat und arbeitet, selbst auch nur dieses Modell kennen. Dabei gibt es auch ältere Menschen, die mir dieses Modell vorgelebt haben: Ich war allein mit meinem Vater statt meinem damaligen Partner nach dem Abi in Tallin und mit meiner Mutter 2010 an der Ostsee zelten. 2019 habe ich sie mit nach Schweden genommen. Meine Mutter fuhr in den Jahren, in denen sie Single war, nicht nur mit mir, sondern auch noch mit über 50 mit einer Freundin in den Urlaub. Doch die alleinreisende Frau - sie fehlt mir als Vorbild, ich kenne sie nur als verschrobene Karikatur, über die misogyne Witze erzählt werden.
Ich nehme mir vor, mich in Zukunft beim allein reisen weniger zu schämen. Meine Tasche mag zwar ein Modell von meinem Schwiegervater aus den 70ern sein, und ich trage immer noch meine Wertsachen in einem Jutebeutel, während alle anderen mit schickem Rollkoffer anreisen, aber wenigstens stehe ich dazu, dass Menschen eben unterschiedliche Prioritäten haben. Hatte schließlich auch die Dame, die unter Biancas Post kommentierte, dass sie zwar gern mal ohne Kinder, aber immer mit ihrem Partner statt Freund_innen verreisen würde. Fair enough, mit solchen Menschen möchte man vielleicht auch gar nicht weg fahren.
Zunächst hatte ich diesen Newsletter über meine Reise nach Kopenhagen schreiben wollen, dort fand ich es aber durchweg enttäuschend und mag euch deshalb gar keine Tipps zur Stadt geben. Am spannendsten war meine Reisebegleitung Ines, mit der ich mich dort zum Arbeiten getroffen hatte.
Ich wollte bereits seit meinem Umzug nach Schweden Ende 2019 unbedingt mal die anderen, nordischen Hauptstädte erkunden. Ob mich mein schlechtes Gewissen dazu überredet hat, aus dem Trip einen Businesstrip zu machen? Zum Glück sprang dabei am Ende doch noch sehr viel Spaß dabei heraus. Und: Bügeln tu ich nie.
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So viel Liebe. Partner, in crime