Ich stehe morgens auf und riesige Kakteen sind in meinem Blick. Ich stehe direkt auf einer Weinplantage. Das Licht ist bereits morgens um sieben nicht hell, aber zumindest angeknipst. Schließlich ist es immer noch Januar. Zuhause, in Göteborg, wäre es jetzt noch stockfinster. Vor mir liegen zwei Tage Reporting. Es gibt dafür kein gutes deutsches Wort, für das, was Reporter*innen eigentlich machen, wenn sie nicht lesend recherchieren oder schreiben: Auf Menschen zugehen, beobachten, Fragen stellen, sich unterhalten, nachhaken. Es ist für mich immer noch der schönste Job der Welt, vor allem dieser Teil, aber er ist auch ein bisschen anstrengend. Es ist keine Urlaubsreise, auf die ich mich da begeben habe.
Zwei Tage später wache ich in einem Hotelzimmer in Lissabon auf. Am Tag zuvor habe ich bei offener Tür zu Abend gegessen. Was für ein Kontrastprogramm nach einer langen Corona-Zeit in Schweden, in der ich zwei Jahre lang so gut wie gar nicht außer Haus gegessen oder getrunken habe, und wenn, dann mit sehr schlechtem Gewissen. Es ist Januar, die Stadt ist also nicht voller Tourist*innen, aber trotzdem sprechen da, wo ich bin, alle Englisch miteinander. Alle, das sind vor allem Männer, auf Business-Trips, entnehme ich meiner Beobachtung. Ich gehe frühstücken und nehme mir danach den Laptop mit ins Bett, um zu schreiben. Das mache ich zuhause nie. Arbeit verbanne ich komplett aus dem Schlafzimmer, um besser schlafen zu können.
Gegen 11 bin ich fertig mit einem Textentwurf, ziehe mich an und spaziere zum Wasser. Ich bestelle in einer offensichtlichen Touristen-Falle einen vegetarischen Hamburger, weil ich genau das jetzt brauche, in dieser kurzen Winterpause mein Gesicht in die Sonne zu halten. Wenn ich ein paar Tage später wieder in einem Corporate-Office unter Neonlicht sitze, möchte ich, dass die anderen sich fragen, woher mein Sonnenbrand kommt. Am Abend habe ich Magenprobleme. Das Hamburger-Patty aus grünen Bohnen habe ich irgendwie nicht vertragen.
Luxus, aber irgendetwas fehlt
Ich wünschte, ich müsste nicht in eine Touristenfalle gehen. In Göteborg weiß ich, wo es den besten Ramen (Ramen Ya) gibt, in Berlin, wo veganes Frühstückbuffet am besten abliefert (immer noch Café Morgenrot), in Krakau, wo es den besten Kaffee mit Kardamom gibt (Cheder). In all diesen Städten habe ich sehr gern ins Wasser gestarrt, gelernt, getrunken und Menschen getroffen, die mir am Herzen lagen. Ohne die Begegnungen mit anderen wären meine Arbeit und ich eine andere. Ich erfahre, was andere umtreibt und sorge für mich, in dem ich hier weiß, was mir gut tut.
Es klingt luxuriös, für die Arbeit andere Orte besuchen zu können, die Umgebung zu wechseln. Aber in der Realität wird all das immer nur flüchtig bleiben, es wird schwer fallen, ein Leben aufzubauen. Es fehlen die Gespräche am Abend, in der ich das Durchlebte noch einmal durch gehen kann.
Flughafen vertrauter als Orte, an denen ich wohnte
Diese Phasen kommen aber nicht nur beim Reisen. Niemals habe ich mich irgendwo so fremd gefühlt wie in der Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, in der ich mein Volontariat gemacht habe. Die Filme im Kino waren synchronisiert, ständig wurde ich danach gefragt, wo ich her komme, weil mein Dialekt nicht eindeutig identifizierbar war, meine Freizeitbeschäftigungen waren allein ins Kino, Spa-oder essen zu gehen. Wenn ich an diese Zeit zurück denke, sehe ich da sehr viel Arbeit, die auch Leben ist, aber wenig mich selbst. Wie vertraut ist mir dagegen eine Flughafenhalle, ein Frühstückbuffet im Hotel, eine fremde Großstadt. Doch ständig die Umgebung zu wechseln ist auch anstrengend, lässt keinen Fokus zu, und vor allem: Man nimmt, und gibt nichts, außer Geld.
Unabhängige Gedanken, weil an einem Ort
Noch nie habe ich mich so abhängig von meiner Umgebung gemacht, wie am derzeitigen Punkt in meinem Leben: Ich habe eine Firma unter meinem Namen und meiner Adresse laufen, ich wohne in einer Wohnung in einem Land, in dem eine Mietwohnung als Hauptmieter zu bewohnen keine Selbstverständlichkeit ist, meine Krankenversicherung ist an Schweden gebunden, ich habe eine Sprache gelernt, die einem außerhalb Nordeuropas nicht viel nutzt.
Noch nie haben sich meine Gedanken unabhängiger angefühlt, weil ich an einem Ort zuhause war, aber nicht gefangen. Diese unruhigen Zeiten nicht alleine durchstehen muss, Freunde, die mich fragen, wann ich wieder da bin, Termine zum Brunchen, zum Theater spielen, singen – und wenn mein Bein endlich wieder funktioniert, hoffentlich auch zum tanzen.
Strukturen, die ich ausreichend verstehe, um sie kritisieren zu können. Home is where you pay your taxes, maybe.
Wenn man auf der Arbeit die private Mail checkt, den neuen Text entdeckt und eine kleine Auszeit im Kopf bekommt. Gerade das Thema "Home is where you pay your taxes" ist gerade brand-aktuell bei mir. Freue mich auf einen Austausch auch offline statt in der Kommentarspalte, denn ich bin froh dass du ebenfalls in Göteborg anzutreffen bist. Viele Grüße und Danke für deine Einblicke hier!