So wirklich weiß ich bis heute nicht, ob ich an Hypnose glaube. Und doch war ich ziemlich aufgeregt, als ich mich Anfang Februar auf einen der Sessel im Kinosaal des „Großen Theaters“ in Göteborg setzte. Mir stand eine Hypnose im Rahmen des Göteborger Filmfestivals, dem größten im Norden, bevor. „Wenigstens kann ich diese wunderschöne Akustik und Architektur erleben, recht pandemiesicher wirkt die Veranstaltung auch“, dachte ich, während ich mich umsah und wartete. Am Einlass wurde mein Impfpass kontrolliert. Nur doppelt geimpfte befanden sich im Saal. Jeweils eine ganze Sitzreihe wurde Platz zwischen den Rängen gelassen, ebenso wie zwei Plätze zwischen den Teilnehmer_innen. Deutschlandfunk Kultur hatte mich für die Sendung „Echtzeit“ für einen Bericht zu einem Experiment angefragt, bei dem das Publikum und ich einen Film „unter dem Einfluss von Hypnose“ ansehen durften. Mit 70 Prozent Spannung, 10 Prozent Skepsis und 20 Prozent Angst drückte ich mich in den weichen, roten Samt meines Kinosessels.
Schließlich hatte es bereits im Vorfeld kontroverse Diskussionen über das Experiment „The Hypnotic Cinema“ gegeben. Mehrere Psychologen hatten im Vorfeld die Hypnose von mehreren Personen gleichzeitig für gefährlich erklärt. So warnte zum Beispiel Susanna Carolusson gegenüber der Göteborgs-Posten davor, dass eine Hypnose bei Menschen mit beispielsweise Traumata Angstzustände auslösen könnten, um die man sich direkt kümmern müsste. Deshalb warnte sie als Expertin die schwedische Behörde für öffentliche Gesundheit und Wohlfahrt, Socialstyrelsen und forderten dazu auf, diese Hypnose, die ihrer Meinung nach nur der Unterhaltung dient, nicht zu erlauben.
Unter Bedingungen wurde der Antrag dann auch bewilligt: Die Zuschauer in keinen gefährlichen Zustand zu versetzen und ihnen die Möglichkeit zu geben, das Experiment jederzeit abzubrechen. Bevor ich zu meinem Ticket gelangte, musste ich angeben, nicht schwanger und ohne psychische und physische Beschwerden zu sein. Der Hypnotisieur Fredrik Praesto arbeitet normalerweise nicht in einem Kino, sondern mit einzelnen Klienten und Firmenkunden zusammen. Angeblich kann er ihnen, wie es auf der Webseite heißt, innerhalb von zwei Tagen Hypnose beibringen. Hypnose zum zuhause nachmachen, dafür bietet er auch Kurse an. Warum, erfährt man nicht wirklich.
Als er die Bühne schließlich betritt, hält er einen recht belanglosen Vortrag über die Geschichte der Hypnose. Davon bleibt mir vor allem hängen, dass sich Hypnose grundsätzlich von den verwandten Techniken Yoga und Meditation unterscheide, weil man zugleich entspannt als auch fokussiert dabei werde. Wir starren auf einen roten Punkt, wir atmen gleichmäßig ein und aus, während er die Zuschauer auffordert, innerlich von 20 auf 0 herunter zu zählen. Zwischen den Ziffern erzählt er eine wirre Geschichte von einem Schachbrett, die wohl nur dazu dient, den Fokus auf die Zahlen zu behalten. Schließlich werden wir dazu aufgefordert, die Augen zu öffnen und der Film beginnt:
Mit einem lauten Knall. Ich wusste, dass der Knall kommen wird. So viel wurde im Programm über den Plot verraten. Ich erschrecke mich trotzdem. Mein Atem beschlägt meine Brille unter der Maske und ein nebliger Film legt sich zwischen Glas und Leinwand. Die Hauptdarstellerin von “Memoria”, einem Cannes-gekrönten Film vom thailändischen Regisseur Apichatpong Weerasethakul, Tilda Swinton, wacht eines Tages von diesem Geräusch auf und hört es im Laufe des Films immer wieder. Ich höre ihn in der Tat immer wieder sehr laut, sehr eindrücklich, es ist ein Erleben. Ich habe nicht die besten Ohren, deshalb ist dieser akustische Eindruck tatsächlich etwas Besonderes für mich. Und auch im Laufe des Filmes höre ich immer wieder Geräusche, die ich sonst beim Sehen eines Filmes nicht in dieser Form gewöhnt bin. Ich höre Gespräche im Hintergrund lauter als den Dialog der Protagonist_innen. Der Film läuft im Originalton in Spanisch und Englisch, die Untertitel sind auf Schwedisch. Schwedisch und Englisch beherrsche ich fließend. Spanisch habe ich in der Schule gelernt und im Alltag oft das Gefühl, das Schwedisch hätte es komplett aus meinem Kopf verdrängt. Plötzlich kann ich wieder während des Film Schauens Wortfetzen verstehen, Sätze in aufgeschlagenen Büchern und an Restaurants lesen. Bin ich verzaubert? Nein, ich glaube, es ist der Fokus, der mir im Alltag und erst recht beim Film schauen einfach etwas abhanden gekommen ist. In einer Zeit, in der das Handy mein Tor in die Welt ist, fällt es mir schwer, mich nur auf fiktive Bilder zu konzentrieren. Nicht so an diesem Abend im Großen Theater in Göteborg.
Das Göteborger Filmfestival findet 2022 das erste Mal seit knapp zwei Jahren wieder vor Ort statt. Vergangenes Jahr war es ausschließlich eine digitale Veranstaltung. Dieses Jahr waren die Sitzplätze in den Sälen auf die Hälfte reduziert, für das zuhause schauen konnte man auch Karten erwerben. Für die drei Filme, die im Rahmen des „Hypnotic Cinema“ gezeigt wurden, waren alle Plätze ausverkauft. In meinem Fall steht der Fernseher in einem Wohnzimmer, das zugleich mein Arbeitszimmer, das Arbeitszimmer meines Freundes und unsere gemeinsame Küche ist. Meist checken wir nebenbei Arbeitsmails.
Das alles ist nicht drin beim Hypnotic Cinema. Mit weit aufgerissenen Augen starren wir auf die Leinwand. Ich bin es kaum mehr gewohnt, mich nur noch auf mich und einen Film zu konzentrieren.
Was ist noch einmal der Unterschied, frage ich den Hypnotiseur nach der Vorstellung, zwischen Hypnose und Meditation? „Hypnose ist ein Handwerk“, antwortet Praesto. „Ich habe unterschiedliche Arten, meine Stimme zu benutzen“. Hypnose, so hatte Praesto in seinem Eingangsvortrag erklärt, trage fälschlicherweise das griechische Wort für Schlaf in seinem Namen. Wach, fokussiert und entspannt, das ist der Zustand, in den die Hypnose uns versetzen solle.
Wenn ich dem Sessel rutschen der anderen so zuhöre und wie einige den Saal nicht in Angst, sondern gemächlich verlassen, dann hat die Hypnose auf die meisten doch eine eher einschläfernde Wirkung gehabt. Oder der 132 Minuten lange Film. Ich fühlte mich leider nicht wie mitten im Film, nicht in eine andere Welt versetzt, aber tiefenentspannt und die Geräusche hatten auf mich schon eine sehr andere Wirkung als sonst. Meine Ohren waren stets gespitzt - und das obwohl ich sonst nicht den besten Sinn für Akustik habe.
Praesto erklärt, er wende bei jeder Hypnose ungefähr die gleichen Worte an – nur eine Kleinigkeit passe er jedem Film an. Und tatsächlich – im Fall von „Memoria“ war es die Akustik. „Höre auf laute Geräusche!“, hatte er eingangs gesagt. Ich konnte mich tatsächlich nicht daran erinnern. Aber in meinem Unterbewusstsein schien es gewirkt zu haben.
Ob er glaube, dass die Hypnose bei jedem gleich wirke?
„Nein, denn hier sind viele. Ich musste eine Hypnose für die Massen machen“, sagte Praesto auf meine Nachfrage, arbeite er allein mit Klienten, so passe er sich genau auf diese an.
„Ein bisschen mehr schwedische Massenhypnose wäre schön gewesen“, schrieb der Rezensent Johan Bengtsson, der in der ersten der drei Hypnose-Vorstellung saß, in seiner Rezension in Göteborg Posten. „Es steht ja sonst ganz gut um die schwedische Massenhypnose“, hatte er seine Glosse begonnen, in Bezug auf die PR-wirksame Diskussion im Vorfeld. Ich stimme ihm zu. Ein bisschen mehr Hypnose und Erleben wäre gut gewesen. Denn mit all dem Schrecken im Voraus – dem Prüfen, der Anzeige, der Berichterstattung, hatte man sich irgendwie mehr von diesem Kinoerlebnis erwartet. Ich kann nicht sagen, ob ich meinen Fokus so sehr auf die Akustik legte, weil ich so gerne etwas spüren wollte, nach all der Aufregung.
Der künstlerische Leiter des Festivals schreibt in seinem Programm von einem ewigen Kampf um Ordnung und Unordnung in unseren Köpfen, denen wir seit zwei Jahren erleben. Auch wenn wir Abstand hielten, unsere Garderobe nach den Regeln von Marie Kondo sortiert hätten und uns mit Routinen fit im Home-Office hielten – so ist es doch die ständige Unordnung von außen, die die Pandemie an uns heran trug. Die Hypnose solle ein Experiment sein, diese Unordnung nun auch in unseren Köpfen herzustellen.
Ironisch, dass genau dieses Versprechen für mich überhaupt nicht aufging. Wenn überhaupt hat dieses Kino-Erlebnis für mich die Sprachstränge geteilt und mir vor Spannung, ob denn jetzt noch etwas Hypnose kommt, die Lust, auf mein Handy zu schauen gestillt.
„Egal, ob du dich hypnotisiert fühlst, oder nicht, ich werde von 20 runter zählen, und dann wachst du auf“. Nach der Sitzung blieb Praesto sitzen, falls jemand Angst habe. Niemand hatte es, die einzige, die noch Gesprächsbedarf hatte, waren ich und ein vor Begeisterung strahlendes, älteres Paar. Sie bedanken sich bei Praesto mit glänzenden Augen „Danke, das hat unser Erlebnis wirklich verstärkt“.
Hypnose im Kino: Kann, aber muss auch nicht.
Zu sehen und zu hören:
Update zu Corona in Schweden
Am 9. Februar wurden die meisten Restriktionen in Schweden aufgehoben. Es gelten nur noch besondere Maßnahmen für Gesundheitswesen und Altenpflege, um vulnerable Gruppen zu schützen. Sich auf eine Infektion testen sollen sich deshalb auch nur diese Gruppen. Die Zahlen in den Intensivstationen nehmen zwar seit ein paar Woche ab, die Infektionszahlen bleiben dagegen hoch. Zum Zeitpunkt 11. Februar gilt Schweden für Deutschland als Hochrisikogebiet und von der Einreise wird gewarnt.