Miete manifestieren, habe ich hier vor vier Monaten geschrieben, ich möchte mehr Platz!, auf diesem Newsletter gefordert, ein paar Posts auf Social Media mit ein bisschen Scham darüber abgelassen, dass ich hinter meiner Kreativität manchmal einfach ganz gern die Tür schließen möchte. Scham, weil ich ohnehin schon nicht aus einem WG-Zimmer in Berlin schreibe, sondern einer schicken Wohnung in Göteborg, die im Warmquadratmeterpreis jedoch so teuer ist wie Wohnungen in deutschen Großstädten es noch vor zehn Jahren waren.
Vergangene Woche hat sich der Wunsch dann manifestiert, ohne, dass ich viel dafür tun musste: Ich traf zufällig meine direkte Nachbarin, erfuhr, dass sie in zwei Monaten ausziehen würde, ließ meinen Sambo beim Vermieter anrufen und für Schweden untypisch unkompliziert erhielten wir die Ansage, noch am selben Tag unsere Wohnung kündigen und den neuen Mietvertrag unterschreiben zu können, um nicht unnötig doppelte Mieten zahlen zu müssen. Und zwar ohne jegliche Einkommensnachweise, Schufa oder irgendetwas erneut abgeben zu müssen.
Mehr Glück als göttliche Fügung
Ich erinnere mich noch gut an die Wohnungssuche vor 10 Jahren in Berlin, bei der meine Mitbewohnerin und ich in den einzigen Blazern, die wie besaßen, und einer Mappe mit Gehaltsunterlagen, Bürgschaften, Schufa-Auskunft und gefühlt unserer Geburtsurkunde mit klopfendem Herzen in Stadtteilen, in denen wir uns sonst nie aufhielten, die goldene Türklingel einer Hausverwaltung drückten, um unseren Papierstapel auf die vorhandenen Mappen zu legen, und abzuwarten, ob irgendein Vermieter ein Herz für Studentinnen mit Hund hatte.
Meine Freund:innen in Göteborg und deutschen Großstädten beglückwünschten uns zurecht zur größeren Wohnung mit vergleichsweise günstigem Mietpreis, und einige träumen nun auch davon, die überteuerte Untermiete verlassen und Hauptmieter eines solchen Schmuckstücks werden zu können.
Was soll ich ihnen schon raten? Ich gab ein paar Tipps für ein paar Neubauten in der Umgebung, sich nicht vorm Telefon zu scheuen, inoffizielle Wege zu suchen. Aber letztendlich: Habe ich doch vor allem einfach nur Glück gehabt. Ich habe diese Wohnung nicht manifestiert, aber das beste aus beiden Welten eingesetzt: Deutsche Sturheit und Schamlosigkeit, schwedisches Anzapfen des Kontaktnetzwerkes. „In Schweden sind Kontakte eigentlich die wichtigste Währung, wichtiger als Geld“ – hatte eine Bekannte neulich philosophiert und es hatte sich abermals als richtig erwiesen.
Diese Geschichte ist für alle, die selbst gerade auf Wohnungssuche sind, vielleicht nicht gerade sehr ermutigend, aber ich habe auch ein paar Beispiele, in denen ich tatsächlich sehr aktiv positive Ergebnisse erzählte.
Tipps, wie du dein Leben in Schweden positiv beeinflussen kannst:
Einen sehr günstigen, extrem netten Co-Working-Space zum Arbeiten erhielt ich in Göteborg: Indem ich in einer Gruppe für Freelancer-Innen in einem Post erzählte, was ich machte, was ich suchte und noch am selben Tag etliche Kommentare und Anfragen erhielt. Fazit: Menschen umgeben sich eben gern mit Menschen, mit denen sie sich auf Augenhöhe austauschen können und die sie sympathisch finden und somit arbeite ich jetzt seit einem Jahr unter lauter Frauen, die was mit Kommunikation machen. Mit Millenial-Leuchtbuchstaben!
Schwedisch gelernt habe ich in einem Jahr dank SFI zunächst in Präsenz-, bzw Live-Online-Webinaren, dann neben der Selbstständigkeit komplett ohne Unterricht im Fernkurs, indem ich Prüfungsleistungen abgeben musste. Neben Hausarbeiten und Präsentationen zählte dazu, innerhalb von drei Wochen 1000 Seiten auf Schwedisch zu lesen. Der Kurs ließ sich ganz gut neben meiner beginnenden Selbstständigkeit machen, diese Aufgabe finde ich nach wie vor aber einen super ungerechten Hammer. Hand aufs Herz: Wie viele Muttersprachler:innen lesen 1000 Seiten in drei Wochen? Ich wüsste nicht, wann ich es zuvor das letzte Mal gemacht hätte.
Freund_innen gefunden: Durch Gothenburg Girl Gone International, eine Facebookgruppe, die sich an internationale Frauen richtet, im Sprachkurs, beim Schwimmen im Schärengarten… Freund_innen zu finden ist nämlich die größte Herausforderung für viele, die ohne einen „Zusammenhang“ – sprich Job oder Studium – nach Schweden kommen. Mein Tipp hier: Zwing dich nicht krampfhaft Menschen auf, die viel Wert auf ihre persönliche Integrität in Familie oder Partnerschaft legen, sondern such dir gleich Gleichgesinnte in Organisationen oder Vereinen. Da ich lieber Kaffee trinke und lese, und beim Yoga Leute nicht unbedingt Bock zum reden haben, war es bei mir eben nicht der Sportverein, sondern ein Buchclub oder die Kinogruppe. Für andere hat Bälle werfen oder zusammen Radio machen die goldene Tür zu Kontakten in Schweden aufgestoßen.
Zuletzt konsumiert:
Das Buch “Jag ser allt du gör” von der Journalistin, Autorin, aber vor allem als Musikerin bekannten Anika Norlin ist das schönste Buch, was ich als Erwachsene je gelesen habe. In Kurzgeschichten, in denen sie mit dem journalistischen Prinzip “Show, don’t tell” sachlich Geschichten über das Leben erzählt, erfährt die Leser_in viel über die schwedische Gesellschaft, tiefste, menschliche Wünsche nach Anerkennung und Zugehörigkeit, Kunst und Klasse, Beziehungen, Freundschaften und Familie. Nicht zuletzt, geht die Protagonistin der Geschichte “Kul för dig, trist för mig” (frei übersetzt: “für dich macht’s Spaß, für mich ist’s langweilig”) auch der Frage nach, warum Konzerte in Deutschland immer so lang sein müssen. Im Haga-Theater in Göteborg habe ich mir neulich (auf eigene Kosten) das Buch als Theaterstück angesehen. Ein unglaublich wandelbares Drei-Frauen-Ensemble weckt die Geschichten zum Leben. Hingehen, wer ein Ticket hat, denn bis April sind alle Vorstellungen (zu recht) bereits ausverkauft. Den anderen bleibt zum Trost das Buch und Norlins Musik.