Die Vulva als Baustelle
Was wir von der schwedischen Künstlerin Carolina Falkholt über Feminismus lernen können
In Westschweden kommen selbst Konservative an Carolina Falkholt nicht vorbei. Die Künstlerin, Graffiti-Autorin und Musikerin sorgt immer wieder für einen Skandal. Mal trug sie bei einem Workshop in einer Schule in Dalsland eine Jacke mit dem Statement “Min jävla fitta” (deutsch: “Meine verdammte F*tze”), vergangenes Jahr malte sie in Göteborg ein vierstöckiges Kunstwerk namens “lesbiska häxhora” (“lesbische Hexenhure”), und in der Nähe der Göteborger Oper finden sich seit Oktober gespreizte Beine mit einer blutigen Vulva mit dem Namen “God giving a fuck”. Zur Zeitung “Göteborg Direkt” hatte sie über den Schöpfungsprozess gesagt:
Doch bei der “Zentrifugalvulva” sollte es nicht bleiben: Zunächst wurde sie von Vandalierenden bekritzelt, dann wurde eine neue Vulva darüber gemalt. Die Künstlerin selbst hatte bereits vor dem Schaffen den Plan, ein Loch an diese Stelle zu setzen, das nun auch wirklich ausgehackt wird, womit sowohl der Vandalismus als auch die neue Vuvla verschwinden. „Über die Frau wurde ja oft als Loch gesprochen, aber jetzt darf man in das Loch hineinblicken und das wirkt als eine Metapher oder Kopplung dafür, dass die Frau eine Baustelle für die Gesellschaft sein kann“, so Falkholt gegenüber Göteborgs-Posten.
Auch empört sie sich nicht darüber, dass andere über ihr Kunstwerk gemalt hatten, sondern sieht es eher als einen interaktiven und sozialen Prozess, mit mehreren Mitverfassenden. „Es bin nicht mehr nur ich, die das macht, sondern andere Künstler_innen sind auch dabei. Es ist sehr toll, dass das Werk performativ wurde, die Leute sich dafür interessieren und über das Werk nachdenken“, erklärt Falkholt gegenüber Göteborgs-Posten.
Den Gedanken über die Frau als Baustelle für die Gesellschaft finde ich spannend. Sehe ich mir die Netzdiskurse an, dann sind es oft Frauen und mehrfach Marginalisierte, die wichtige, gesellschaftlichen Diskurse austragen. Aber nicht nur im Internet werden diese Konflikte ausgetragen: An den Demonstrationen des Internationalen Frauentages geht es nicht nur um Equal Pay, sondern die Rechte von Sexarbeiter*innen und LBGT (Lesbian, Bisexual, Gay, Transgender), den Schutz vor Krieg und Verfolgung, Unterstützung der Menschen, die die Care-Arbeit während einer Pandemie verrichteten. Gemeinsam versuchen sie sich außerhalb eines patriarchalen Systems eine Gesellschaft zu bauen.
Die „Frau“ ist längst nicht mehr nur Baustelle, sie baut. Auch Falkholt baut: In Interview mit dem queeren Nachrichtenmagazin „qx“ sagt sie: „Jetzt, wo es viele Schwedendemokraten (rechtspopulistische Parte in Schweden, Anmerkung swedenbyaccident) gibt, die öffentliche Ämter übernehmen wollen“, ist es wichtig, dass es lesbische Kunstwerke als Gegenpol gegen den Faschismus gibt. Diese Hexenhure will mit dem Patriarchat und den Faschismus brechen, und sie arbeitet mit einem Twerktanz an der Wand dagegen. Dass sie ihre Vulva zeigt, ist ein historischer Akt, der Anasyrma heißt, und teilweise eine Kriegshandlung ist, die dazu dient, Feinde im Krieg abzuschrecken. Aber auch eine Handlung, die Verständnis hervor bringt, Verwunderung weckt, oder jemanden zum Lachen bringt, oder Sorgen erleichtert“. Der Erlös des Gemäldes ging an eine Rehabilitierungsgruppe, die sich an Überlebende sexueller Gewalt wendet, die sich durch Yoga erholen können.
Bestellt hat das Werk der multinationale Bauunternehmer „Skanska“, über die Ausführung war er jedoch alles andere als erfreut. Das Bild wäre ihm im Vorhinein anders präsentiert wurden. Auch Gunilla und Torgny Lindén, ein älteres Paar hatten sich mit einem Debattartikel an die Göteborgs-Posten gewendet und dort die Frage gestellt, wie sie die große Abbildung des weiblichen Geschlechts ihren Enkelkindern erklären sollten.
Damit hat Falkholt alles erreicht, was Kunst im öffentlichen Raum erreichen sollte: Provokation, Gespräche, Gedankenanregung – und den Ärger der Mächtigen, denen die Gebäude gehören. Den einen war die Vulva wohl eine Kriegserklärung, mir wird, selbst wenn das Gemälde irgendwann wieder übermalt werden sollte, „die lesbische Hexenhure“ im sonst so nüchternen Göteborg noch lange ein Lächeln auf die Lippen zaubern.
Neues von und mit mir:
Bei “Deutschlandfunk Kultur” ist zu lesen und zu hören, wie sich Kino in Hypnose angefühlt hat.
Nachrichten aus Schweden
Die neue, schwedische Staatsministerin Magdalena Andersson (Sozialdemokraten) hat vergangene Woche bei einer Pressekonferenz bestätigt, Panzerabwehrgeschosse und anderes Verteidigungsmaterial in die Ukraine zu schicken. Damit hat Schweden zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg militärisches Material in ein Land im Krieg geschickt. Das letzte Mal, 1939, unterstützte Schweden Finnland gegen die Sowjetunion. Über Reisewarnungen und Corona informiert ihr euch aktuell am besten über Corona in Zahlen , über Reisewarnungen hier und über die aktuelle Nachrichtenlage im öffentlichen Rundfunk auf Schwedisch und Deutsch und großen Tageszeitungen, auf Schwedisch zum Beispiel hier und hier.