Hej! Machst du es dir diesen Herbst gern zuhause gemütlich, träumst du dich in die Ferne oder trauerst dem Sommer hinterher? Zum Thema zuhause stelle ich euch diesen Herbst noch ein paar weitere Menschen in Interviews und Gastbeiträgen vor. Näher bringen möchte ich euch dabei auch das Leben in anderen skandinavischen Ländern. Maja Martin, selbstständig als Webdesignerin und im Digital Marketing, schreibt über ihre Integration in Dänemark. Aufgefallen ist sie mir mit ihren wunderschönen Fotos und Alltagsbeobachtungen bei Instagram unter @anordicdiary.
Nach sechs Jahren Wien wurde es für meinen damaligen Freund und Vater meiner Kinder Zeit, sich beruflich wieder einmal zu verändern. Für mich war Wien zur zweiten Heimat geworden, ich hatte einen wundervollen Freundeskreis und das Gefühl die Stadt jeden Tag neu erkunden zu können. Die Nachricht traf mich eigentlich wie der Schlag und doch hatte ich es befürchtet.
Wir hatten zwei Möglichkeiten: Karlsruhe in Deutschland oder Aarhus in Dänemark.
Deshalb schauten wir uns beide Städte an. An Karlsruhe reizte mich die Nähe zu meinen alten Freunden und meiner Familie, nur machte es gefühlsmäßig einfach nicht „Klick“.
Aarhus besichtigten wir an einem regnerischen Februartag.
Wir hatte uns in das wohl beste Hotel der Stadt eingemietet mit eigenen Eingang zu einem Fachwerkhäuschen, am Rande des Waldes und in der Nähe des „Dyrehavens“ - ein kleiner Tierpark. Ich fühlte mich wie Pippi Langstrumpf. Und obwohl ich Wien schon jetzt vermisste, wusste ich das dies wohl meine Zukunft wird.
Der Vertrag wurde unterschrieben und wir begaben uns auf die Haussuche in Dänemark. Da die Mietpreise unglaublich hoch waren, wurde schnell klar, dass nur ein Hauskauf in Frage kam. Nachdem wir die Bedingungen erfüllten, reisten wir noch einmal nach Dänemark, um an einem Wochenende 20 Häuser anzuschauen. Wir fanden unser Haus in Aarhus und zogen im Juni 2014 ein.
Schnell wurde doch klar, dass man sich zwar mit Englisch in Dänemark durchschlagen kann, dies aber auf Dauer keine Lösung war. Also meldete ich mich beim Jobcenter zum gratis Dänischkurs an, der für alle, die neu nach Dänemark gezogen sind, angeboten wurde. Emotional war dies meine Rettung. Ich war unter anderen „Zugezogenen“, die alle mehr oder weniger versuchten sich einzuleben. Jeder hatte seine eigenen Geschichte zu teilen. Ich habe mich in einem fremden Land unter anderen Fremden anfangs wohler gefühlt. Liegt es am Verständnis der gemeinsamen Herausforderungen oder dem Fehlen der sozialen Kontakte? Die Sprachschule half mir jedenfalls über das große anfängliche emotionale Loch hinweg und ich fand die ersten Freunde, deren Kontakt ich noch heute schätze.
Die Sprache lernen
Die Dänen pflegen zu sagen, dass Deutsche und Holländer in einem halben Jahr fließend im Beherrschen der Dänischen Sprache sind. Ich muss eine Ausnahme gewesen sein. Ich verstand im Radio ein ganzes Jahr lange nichts. Gar nichts. Ich konnte die Worte nicht von Sätzen trennen und å nicht von o unterscheiden. Was Sprachen betrifft bin ich eher unerschrocken und setze mich aktiv damit auseinander. Ich habe versucht, mit den Nachbarn sehr schnell Dänisch zu sprechen, habe versucht den Kindern ein Vorbild zu sein und war an jeder schulischen Veranstaltung, bei Elternabenden und Festen. Mir war es egal, ob ich perfekt sprach oder nicht - Hauptsache die anderen konnten mich verstehen und ich habe es versucht.
Bröckelndes Selbstbewusstsein
Nach einem Jahr war ich dann doch so motiviert, dass ich eine Klinik für alternative Behandlungsmethoden eröffnete, als Teil einer Gemeinschaftspraxis mitten in der Stadt. Doch dann traf sie mich wieder: die Unsicherheit. Ich konnte mich nicht so ausdrücken wie ich gewohnt war und den Klienten nicht richtig erklären, was ich tat und was sie zu tun hatten.
Mein Selbstbewusstsein begann zu bröckeln und ich fühlte mich eingeengt aufgrund der sprachlichen Herausforderungen.
Ich schloss die Klinik nach einem weiteren Jahr und beschloss in meinen alten Job zurückzukehren. Vor der Geburt meiner Kinder arbeitete ich im Marketing einer norwegischen Firma und als Webdesignerin nebenbei. Da mich die sprachlichen Hürden nicht ruhen ließen, meldete ich mich bei der Erhvervsakademi in Aarhus an und machte noch einmal die Ausbildung zum Multimedia Designer. Ich schrieb Berichte und Prüfungen in Dänisch, musste Vorträge halten und kam so ein manches Mal an meine Grenzen. Ich fühlte mich anders, auch weil ich älter war als die meisten in meiner Klasse aber auch weil ich die Nuancen noch stets nicht zu verstehen schien. Und dann wurde mir klar, dass Sprache mehr ist, als nur Wörter oder Sätze bilden. Ich würde es als ein Gefühl beschreiben. Und dieses Gefühl hatte ich nicht, weil ich nicht in diesem Land geboren bin. Es ist ein Gefühl, das sich ohne Worte verständlich macht, mit dem man aufwächst und das für einen zur Normalität wird. Für einen Nicht-Muttersprachler ist dies fast nicht zu erfassen. Und plötzlich wusste ich, dass ich mein bestes geben konnte aber meinen Weg finden musste mit diesem fehlenden Gefühl umzugehen. Denn dieses Gefühl würde mich ansonsten weiterhin unsicher machen.
Ich bestand die Prüfungen und machte den offiziellen Abschluss zur Multimedia Designerin.
Sozial integriert war ich nicht besonders in dieser Klasse, zum einen war der Altersunterschied recht hoch und zum anderen wollte ich aufgrund meiner Kinder nicht an den Festen teilnehmen und trinke darüber hinaus kaum Alkohol. Dennoch lernte ich eine Menge: Ein wichtiger Aspekt war, dass Lehrer und Schüler auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Kritik ist immer konstruktiv. Noten werden erklärt und Verbesserungsvorschläge gemacht. Ich verlor in den beiden Jahren tatsächlich meine Präsentationsangst, da Fehler zu machen absolut in Ordnung waren und ich selbst aus der Situation lernen sollte. Lehrer arbeiten hier somit unterstützend.
Nach der Ausbildung konnte ich mir aus unerklärlichen Gründen dennoch nicht vorstellen in einer dänischen Firma zu arbeiten. Ob es immer noch einher ging mit einer gewissen Unsicherheit, kann ich gar nicht sagen. Deshalb machte mich nach der Ausbildung noch einmal selbständig und arbeite seither erfolgreich für deutsche und dänische Kunden als Webdesignerin und Content Managerin. Eine Firma in Dänemark zu gründen ist tatsächlich sehr unkompliziert und unbürokratisch. Allerdings liegt der Steuersatz bei Einzelunternehmer in der Regel bei 37%.
Nach Dänemark ziehen - ein Traum?
Wie in jedem anderen Land gibt es auch hier Vor- und Nachteile. Die man tatsächlich oft erst wahrnimmt, wenn man hier wohnt.
Dennoch möchte ich jedem, der in ein anderes Land ziehen möchte ans Herz legen, die Sprache schnellstmöglich zu erlernen.
Ziehe nur nach Dänemark mit einem Job in der Tasche oder wenn die finanzielle Situation gesichert ist. Dänemark liegt, laut der Europäischen Kommission, mit einem Preisniveau von 39% über dem EU-28-Durchschnitt der Lebensunterhaltungskosten. Dänemark hat bei weitem die höchsten Verbraucherpreise in der EU. Nur in den EFTA-Ländern Island, der Schweiz und Norwegen sind die Preise noch höher. Ein Großteil der Ausgaben einer Familie entfallen auf die Wohnung.
Versuche dich durch Sportvereine oder Sprachschulen zu integrieren
Lerne die Unterschiede der Mentalität kennen
Informiere Dich über das Gesundheitssystem und Rentenversicherung im Vorfeld
Resümee nach sieben Jahren Dänemark
Die Dänen verwenden das Wort „Pyt“ sehr gerne und ist zu meiner absoluten Lieblings Vokabel geworden. “Pyt” bedeutet soviel wie, das macht nichts / es ist keine Katastrophe oder alles ist in Ordnung. “Pyt” macht das Leben leichter. Ich habe mich daran gewöhnt, dass es eine Weile dauert, bis ein inniger Kontakt zu den Dänen entsteht und das man dazu sehr viel Geduld braucht. Als Süddeutsche war es eine Herausforderung, mich an die Verschlossenheit zu gewöhnen. Mittlerweile schätze ich das auch hin und wieder.
Allerdings vermisse ich nach wie vor so einiges hier, wie zum Beispiel das deutsche Essen und die Möglichkeiten einer Großstadt, Essen gehen ohne ein Vermögen zu bezahlen und stundenlang im Café zu sitzen. Ich vermisse im DM einzukaufen und die deutschen Bioläden, die Auswahl an Lebensmittel und das lebendige und bunte.
Ich liebe aber auch die Übersichtlichkeit von Aarhus, die leicht hügelige Lage und die Nähe zum Strand. Ich liebe Minimalismus und schwarz als Kleiderfarbe. Ich habe gelernt, dass man viele Dinge einfach nicht braucht.
Und nein, momentan kann ich es mir nicht vorstellen anderswo zu wohnen.
Neuigkeiten
Wie im Nachbarland Dänemark sind auch in Schweden seit dem 29. September fast alle Restriktionen abgezogen wurden. Das gilt zum Beispiel für die Beschränkung in Restaurants an Tischen, sowie große Veranstaltungen. Die Begründung der schwedischen Gesundheitsbehörde: Die Impfung ist das stärkste Werkzeug im Kampf gegen die Pandemie, und wir werden mit Covid-19 leben müssen. Sollten Inzidenz- oder Fallzahlen sich wieder auf ein kritisches Niveau begeben, sind erneute Restriktionen nicht ausgeschlossen, heißt es auf der Webseite der Gesundheitsbehörde.
In eigener Sache
Das Ende der Kanzlerinnenzeit in Deutschland hat Schweden interessiert: Meine ersten 20.000 Zeichen-Reportage in der Göteborgs-Posten ist kurz vor der Bundestagswahl erschienen. Der Artikel selbst liegt hinter einer Paywall, aber den Video- Trailer und Zeitstrahl könnt ihr euch anschauen.
Die letzten 100 Tage des Jahres sind angebrochen, und ich nutze sie, neben einigen beruflichen Challenges, auch zur Reflektion über die vergangenen zwei Jahre. Ich habe mir dabei meinen Instagram-Account als visuelles und wörtliches Tagebuch noch einmal angeschaut. Und viele der Gefühle sind in mein 2020-erschienenes Fernwehbuch “weg” geflossen. Ihr könnt es in der Buchhandlung bestellen, unter diesem Link, generell online, oder meldet euch bei mir!
Hast du auch eine Aus Versehen Geschichte?
Ich möchte gerne Menschen Mut machen, ihre Geschichten zu erzählen. Wie sie dorthin gekommen sind, wo sie jetzt sind, und wie es ist, einen anderen Weg zu beschreiten. Außerdem möchte ich unseren Skandi-Fans die Realität hier im Norden vor Augen halten. Ist es echt so fancy, hier zu leben? Bist du in den Norden ausgewandert oder vielleicht zurückgekommen? Schreib mir einen Kommentar oder bei Instagram. Die interessantesten Geschichten stelle ich vor.
Was du zuhause nachmachen kannst
Jetzt ist aber wirklich mal die Saison für Kallbad angebrochen! Ich bin in mein 33. Lebensjahr im Meer bei Varberg reingeschwommen.