Deutscher Neid und schwedische Gleichgültigkeit
Über meine Hassliebe zum schwedischen "Det ordnar sig"
Diesmal haben euch die Themen “Deutscher Neid”, “Unabhängigkeit und Abhängigkeiten” und “Was dir bei deiner Deutschlandreise aufgefallen ist”, am meisten interessiert. Gut, dass ich all das gut zu einem Thema zusammen fassen kann: Die schwedische Gleichgültigkeit, mal gut, mal schlecht.
“The shitty thing is: They don’t care about you. The good thing is: They don’t care about you”. Diesen Satz hat eine Freundin, die schon viel länger als ich in Göteborg lebt, vor zwei Jahren über die schwedische Mentalität gesagt. Damals hatte ich bereits eine Ahnung, was sie meint, heute weiß ich, dass es so ist.
Lasst es mich noch ein bisschen weiter ausführen: Gehst du durch ein schwedisches Mietshaus, bekommst du, wenn du Glück hast, ein “Hej!” zu hören. Es kann dir aber auch passieren, dass dich niemand grüßt. Weil es, wie ich im letzten Newsletter bereits erwähnte, zum guten Ton gehört, Menschen in Ruhe zu lassen.
Triffst du dich mit Menschen zum Fika, Abendessen oder einer Wanderung, werden sie dich häufig deutlich ausführlicher als in Deutschland nach deinem Wohlbefinden, deinem Job oder Studium, deinen Aktivitäten am letzten oder nächsten Wochenende fragen. Dabei achtet man meistens darauf, selbst nicht zu viel über sich selbst zu sprechen. So weit, so angenehm und ausgewogen. Es kann aber auch sein, dass du danach ein paar Wochen bis Monate lang nichts mehr von ihnen hörst. Die Erklärung, die mir eine schwedische Bekannte auf Nachfrage mal gab: “Wir wollen nicht stören, bestimmt haben alle immer viele Pläne”.
Interesse vs. Bohrende Fragen
So viel zur (aus Sicht von anderen Kulturen) negativen Seite. Neulich war ich in Deutschland, vor allem aus beruflichen Gründen. Plötzlich war das Interesse groß: “Du bist ausgewandert? Schreibst du auf Schwedisch? Das ist ja bestimmt schwer. Du hast Journalistik nicht studiert? Wo lebst du dort? Weißt du gerade die genaue Impfquote von Schweden?” Ich kann es nicht verallgemeinern, aber ich würde das Interesse in Schweden als oberflächlich, aber gesprächstreibend beschreiben. Das deutsche Interesse geht viel tiefer, es schlägt aber, vor allem, wenn man es eine Weile nicht mehr erlebt hat, schnell ins Bohrende um. Und irgendwann kommt immer der Satz: “Also, ich könnte das ja nicht. Du hast ja echt viel aufgegeben.” Oder auch: “Aber Schwedisch ist ja keine soooo schwere Sprache. Das ist jetzt keine so große Leistung, sie zu lernen”. - Letzterem würde ich sogar zustimmen, und diese Tatsache ist auch der Grund, warum es mir manchmal sehr unangenehm ist, wenn Menschen es so beeindruckend finden, wie schnell ich Schwedisch gelernt habe. Aber eine Leistung zu mindern, die man nicht selbst vollbracht hat? Habe ich in Schweden noch nie mitbekommen. Die Art, sich an Problemen aufzuhängen, anstatt Lösungen zu suchen, ist etwas, was mich an Deutschland immer mehr stört, je länger ich nicht mehr dort lebe.
Unfähigkeit, über Probleme zu sprechen
Die Unfähigkeit, über Probleme zu sprechen, ist etwas, das mich in Schweden aufreiben würde, wenn ich nicht hin und wieder Kontakt zu Menschen aus anderen Ländern hätte. Denn es gibt vieles, über das man durchaus wütend sein kann und sollte: Den ungleichen Zugang zu Wohnungsmarkt, Sprachunterricht und das stetige Orientieren an einem vermeintlichen Durchschnitt, bei dem sehr viele Leute durchs Raster fallen, wie auch Gastautorin Marie Heimburg neulich auf LinkedIn kommentierte. Immer wieder, müssen die Menschen, die davon betroffen sind, auf Ungerechtigkeiten hinweisen, andere eindringlich dazu auffordern, andere Blickwinkel einzunehmen, weil die Ignoranz anderer Lebensrealitäten als der eigenen so schön bequem ist. Nicht, dass es das nicht auch in Deutschland gäbe. Aber Deutschland ist auch nicht das Land, von dem Tourist_innen, Besucher_innen und nicht zuletzt ein Großteil der Bevölkerung das Bild eines progressiven, nahezu perfekten socialist paradise hat.
Ich selbst lebe sehr gern in Schweden, profitiere aber auch von vielen Vorteilen, die einige meiner Freund_innen nicht haben: Ich bin weiß, akademisch gebildet, habe Berufserfahrung und einen schwedischen Partner. Es kann also weder hier im Newsletter oder auch sonst niemals darum gehen, ob es besser ist, in Deutschland oder in Schweden zu leben. Denn da bleiben immer die Fragen: Für wen und warum?
Wir können jedoch darüber reden, wo es einen Platz für Probleme geben kann und wann es vielleicht auch Raum für das Finden gemeinsamer Lösungen geben kann.
Und das kann Deutschland von Schweden lernen: Es ist nie zu spät, noch einmal etwas zu studieren, wenn es Unterstützung für die Finanzierung gibt. Gleichberechtigte Elternzeit muss man sich leisten können, und wenn sie zur Gewohnheit wird, akzeptiert sie auch der Arbeitgeber. Kein Job ist es wert, keinen Raum für Freizeit zu lassen. Lieber einmal mehr als zu wenig Kaffeepause machen. Ok, das letzte ist ein bisschen Klischee, aber man soll ja niedrigschwellig anfangen.
Der Song zum Newsletter: Det kommer bli bra
Hej Regine, da hast Du den Nagel auf den Kopf getroffen. Ich glaube, die Zurückhaltung ist in Schweden noch ausgeprägter als in Dänemark, war aber für mich anfangs auch sehr schwer zu verstehen und die Fragen aus Deutschland genauso...Besser hätte man es nicht beschreiben können. Und daran erkennt man eigentlich auch, dass Auswandern nicht unbedingt so leicht ist da man zwei Mentalitäten annehmen und akzeptieren muss, damit das Ganze funktioniert!